Verfassung „Ostbelgien“ ist abwegig
Es ist begrüßenswert, dass auch durch den Beitrag von Oswald Schröder aus Anlass des neuen Newsletter 2499 des Crisp die öffentliche Debatte über die Staatsreform weiter angestoßen wird, auch Senator Alexander Miesen hatte sich ja kürzlich zu der in Brüssel eingesetzten Kommission geäußert. Ich persönlich würde mir eine größere politische und gesellschaftliche Debatte in unserer Gemeinschaft wünschen, denn erstens kann es ja wohl nicht sein, das Schicksal unserer Bevölkerung oder auch unsere institutionelle Zukunft im belgischen Staat nur in Hinterzimmern und Kommissionen zu entscheiden und zweitens ist auch das Thema zu wichtig, um es nur den Politikern und deren Parteien zu überlassen. Zurück in 1970 haben wir das was erreicht wurde, nämlich die anerkannte verfassungsrechtliche Existenz, nicht erreicht, weil wir selbst diesen Anspruch erhoben hätten, es waren vielmehr flämische Politiker und Parteien die uns zu diesem unverhofften Glück verholfen haben, nämlich Politiker wie Tindemans, Eyskens, Coppieters und Schiltz, um nur einige zu nennen. Gott sei Dank kam es zu einer Zwei-Drittel-Mehrheit auch mit der Einsicht der wallonischen Parteien, auch wenn es ein mühsamer Weg war.
Den Newsletter habe ich bisher nicht gelesen, ich gehe mal davon aus, dass der Chefredakteur ihn detailliert zusammenfasste. Ich möchte einfach einige Thesen in die Runde werfen, als Anstoß für eine breitere, hoffentlich zivilisierte Diskussion.
These 1: Das institutionelle Gebiet der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG)
- Das institutionelle Gebiet der neun Gemeinden „Ostbelgien“ zu nennen, auch in einer neuen Verfassung, ist falsch. Es spiegelt nicht das wieder, was dieses Gebiet darstellt. Man kann es ganz einfach „Eupen-Sankt Vith“ nennen, womit sich jeder identifizieren kann, egal ob er deutschsprachig ist oder nicht. Das braucht auch nicht übersetzt zu werden. Erinnert sei daran, dass der Begriff Eupen-Malmedy, der ja auch völkerrechtlich an Bedeutung gewann durch die Angliederung an Belgien aufgrund des Versailler Vertrags, bis heute nicht nur bei Historikern durchaus bekannter ist als die Begriffe Ostbelgien oder deutschsprachige Gemeinschaft.
These 2: Kann man das Gebiet oder die Landschaft Ostbelgien
definieren?
- Der Begriff „Ostbelgien“ ist auch als geschützte Marke auf jeden Fall territorial weiter zu fassen als das Gebiet der neun Gemeinden der DG, da haben unsere Freunde in Bleyberg, Montzen oder Malmedy durchaus Recht, das sie sich ausgegrenzt fühlen. Man könnte das Gebiet so definieren, dass es neben den neun Gemeinden der DG auch die Gemeinden der altzeitlichen „duytschen Bänke“ im Herzogtum Limburg umfasst, nämlich Baelen, Montzen und Aubel, sowie natürlich den ehemaligen Kreis Malmedy mit heute Weywertz und die Gemeinde Malmedy selbst. Das sind auch heute insgesamt neun Gemeinden. Allerdings müssen diese Gemeinden alle dazu beitragen, in diesem Lebensraum ein Gemeinschaftsgefühl und eine Identität zu schaffen. Sie müssen ihren Beitrag zur Erfüllung der Sprachgesetzgebung leisten, genauso wie es die neun Gemeinden der DG tun. Dafür muss aber noch viel Gesinnungs- und Überzeugungsarbeit geleistet werden, angefangen in der Schule. Deutsch muss auch dort unterrichtet werden, so wie in der DG Französisch und nicht wie in Malmedy (während der Pandemie gelesen) aus dem Schulprogramm genommen werden. Die Politiker müssten auch das Kulturgut in ihren Gemeinden schützen und nicht wie in Montzen geschehen, plattdeutsche oder deutsche Grabsteine einfach vom Friedhof entfernen lassen. Und warum sollte man nicht auch Niederländisch verstärkt lernen, denn im Norden grenzen Kelmis und Bleyberg an Südlimburg und somit an die Niederlande. Im Sankt Vither Land im Süden kommen die Menschen ohnehin schon jetzt mit Lëtzebuergesch zurecht, ohne es als Schulfach zu haben. In Malmedy aber sollte man wieder zum intensiven Deutschunterricht zurückkehren und überhaupt sollte der gebrauch der deutschen Sprache gefördert werden, in der Schule, in der Verwaltung, im Gerichtswesen und in allen zivilrechtlichen Bereichen. Das wäre ein erster wichtiger Schritt.
These 3: Die Forderung einer vierten Region
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Was die 7. Verfassungsreform betrifft, so sollte man nur die Lösung der vier Regionen in Betracht ziehen. Wir haben es dann selbst in der Hand, unser
Zusammenleben auf allen Gebieten nach eigenen Regeln zu gestalten. Wir schaffen das und es kostet auch nicht mehr als heute, denn vieles fällt ja weg (Provinzen). Es bietet uns ungeahnte
Möglichkeiten und Perspektiven für die Zukunft. Für Brüssel muss in der Tat eine Sonderregelung getroffen werden, vielleicht so etwas wie ein europäischer Distrikt mit allen drei Sprachen und
Englisch für die übrigen Europäer, die keine dieser drei Sprachen sprechen.
Vielleicht ergreift das Grenzecho selbst die Initiative und gründet ein digitales Forum in dem sich jeder interessierte und aktive Bürger äußern kann, egal in welcher Sprache, um seine Gedanken zur Zukunftsgestaltung unserer „ostbelgischen“ Gemeinschaft und zum belgischen Staatsaufbau über Video auszudrücken.
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